Lehrerausbildner geben Berufsgeheimnisse weiter – mit Metalog

Unterrichten ist mehr als die Umsetzung einer Vorbereitung. Auch die besten Drehbücher müssen in der konkreten Unterrichtssituation interpretiert, angepasst und manchmal völlig umgestellt werden. Erfahrene Lehrpersonen tun das selbstverständlich und regelmässig aus der Einschätzung der Situation heraus. Ein Beobachter würde kaum etwas davon bemerken. Doch wie können wir solche «Berufsgeheimnisse» unseren jungen Kolleginnen und Kollegen weitergeben?
Von Jürg Brühlmann

Methoden der Ausbildung in der Praxis
Als berufliche Tätigkeiten kennen wir neben dem Live-Unterricht auch Konferenzen, Teamabsprachen, Elterngespräche, Runde Tische, Einzelberatungen, Vor- und Nachbereitung, Korrekturen und Notengebung, Organisation von Exkursionen, Material bereitstellen, Räume inszenieren, Mitarbeit in Projekten etc.

Für mögliche Interventionen von Praxislehrpersonen (PLP) auf das Lernen von angehenden Lehrpersonen / Studierenden können wir grundsätzlich drei zeitliche Punkte unterscheiden: Das Handeln der Studierenden VOR – WÄHREND – NACH ihrem Handeln im Praxisfeld (Berufssituation) (vgl. Abbildung 01).

«WÄHREND» der Berufssituation meint alle diese und weiteren Tätigkeiten, welche zum Berufsauftrag gehören. Sie müssen angehenden Lehrpersonen vermittelt werden. «VOR» und «NACH» der Berufssituation meint Zeit, welche für und mit der lernenden Person verbracht wird, um ihr Lernen zu unterstützen. Die Unterrichtsvor- und -nachbereitung gehört in diesem Modell zur Berufssituation.

brühlmann abbildung 1

Im Folgenden fokussiert dieser Beitrag das Handeln WÄHREND der Berufssituation. Die Ergebnisse der Studie Lernen sichtbar machen (Hattie 2015) zeigen auf, dass im Hinblick auf den Wissenszuwachs und das Verhalten der Lehrperson das Setting Unterrichtssituation, also WÄHREND des Unterrichts (mittlere Spalte Abbildung 01), als am effektivsten bezeichnet wird (vgl. z.B. S. 144).

In der mittleren Spalte sind u. a. zwei Varianten des Lernens skizziert, welche in Gesundheits- und Sozialberufen oder in Unterrichtsberufen angewendet werden können: «Kollegiales Unterrichts-Coaching / kooperatives Unterrichten» und «Modeling mit Metalog».

Modell «Kollegiales Unterrichts-Coaching» / kooperatives Unterrichten
(Annelies Kreis, Fritz C. Staub)

Lernende und erfahrene Berufspersonen bereiten gemeinsam vor, unterrichten gemeinsam, tauschen sich während kleinen Pausen oder während der Arbeit immer wieder aus und reflektieren anschliessend. Dieses Modell wird hier nicht weiter erläutert.

Stärke des Modells
Im Voraus co-konstruierte, gemeinsam umgesetzte und ausgewertete Situationen, gemeinsames Lernen. Mitschwimmen im «courant normal».

Herausforderungen
Erfahrene Lehrpersonen und Studierende sind involviert, deshalb hohe Ansprüche an Rollenklarheit. Gefahr des Verwischens und Ausbalancierens von individuellen Verantwortungen: Welche Wirkungen «gehören» zu Studierenden?

Modell «Modeling mit Metalog» (MmM)
(Weiterentwicklung Cognitive Apprenticeship, Jürg Brühlmann)

Die lernende Person beobachtet eine erfahrene Person WÄHREND der Berufssituation (Modeling / Modellverhalten). Die Berufsperson versucht, ihre beruflichen Überlegungen, Beobachtungen und Entscheidungen laufend transparent zu machen, insbesondere durch begleitende mündliche Erläuterungen ihres Tuns oder ihrer Entscheidungen – mit «verbalen Untertiteln» (Metalog).

Stärke des Modells
Situationen werden in der Situation selbst mit fachlichen Hinweisen unterlegt und damit eindeutiger interpretierbar. Der «Dok-Film» wird mit Ton kommentiert (untertitelt) und kann so kognitiv besser verarbeitet werden.

Herausforderung
Hohe Fachlichkeit, emotionale und reflexive Präsenz in der Situation, Umgang mit zwei Ebenen der Kommunikation, mögliche Irritationen bei den Schülerinnen und Schülern.

Hinweise
Modeling mit Metalog lässt sich grundsätzlich in allen beruflichen Situationen anwenden: Teamsitzungen, Lernberatung, Elterngespräche, Unterricht, Vorbereitungen etc. Es wird gezielt und zeitlich begrenzt eingesetzt: z.B. um eine Situation nochmals genau anzusehen oder um neue Studierende zu informieren.

Wesentliche Voraussetzungen für das Gelingen

  • Situatives professionelles Bewusstsein der PLP: Ich weiss, was ich warum und wie tue, was wie auf mich wirkt und neue Entscheidungen verursacht.
  • Angepasste Adressierung von professionellen Überlegungen in der Situation an die Lernenden, Eltern, Teamkolleginnen und Teamkollegen etc., aber nicht an die beobachtenden Studierenden.
  • Optimale Unterstützung durch räumliche kohärente Inszenierung der drei Rollen (Professional (erfahrene Lehrperson), Klient/in (Schülerinnen und Schüler), Praktikant/in (Studierende / angehende Lehrpersonen): Die beobachtende Person geht möglichst in Distanz zum arbeitenden System, sie sollte aber von möglichst allen Personen gesehen werden, und ihre körperliche Aufmerksamkeit ist auf die arbeitende Person gerichtet.

Regeln für die Platzierung der beobachtenden Person (Student/in, gilt auch für beobachtende PLP)

  1. Beobachter/in sollte von möglichst allen Anwesenden gesehen werden können
  2. Körperausrichtung der Beobachter/in auf die arbeitende Person
  3. Beobachter/in bleibt ausserhalb des arbeitenden Systems (Distanz grösser, ausserhalb Kreis, Zurückrücken vom Tisch)

Praxisbeispiele von MmM
(Der Metalogtext ist unterstrichen und kursiv geschrieben)

Beispiel Unterrichtsbeginn

Variante 1:
Informationen primär zur Organisation

Guten Morgen miteinander, wir machen ja jeweils unser Ritual zu Beginn, Leonie, Du bist heute dran mit dem «L» (Leonie moderiert das Ritual) … Super, danke Leonie, morgen ist dann Niklaus dran, gell, schon zum zweiten Mal, seit wir letzten Herbst damit begonnen haben.

Variante 2:
Informationen primär zur Rolle und Position der Lehrperson

Guten Morgen miteinander, Leonie, heute bist Du dran, so, da setze ich mich wie immer ans Pult, ihr macht das ja schon länger ganz alleine.

Beispiel Elterngespräch

Variante 1:
Problemloses Erstgespräch

Begrüssung. Platzierung, Smalltalk. Das ist ja unser erstes Gespräch, da erkläre ich jeweils zuerst, wie das abläuft. Ich schlage vor, wir tauschen zuerst unsere Ziele und Erwartungen aus, dann sammeln wir die Themen und starten mit den für Sie wichtigsten Fragen und Anliegen.

Variante 2:
Erstgespräch mit Konfliktklärungen

Begrüssung, Platzierung. Danke, dass Sie gekommen sind. Wir sind hier zum ersten Mal zusammen für ein Elterngespräch. Nach unserem Telefon vor zwei Wochen gehe ich davon aus, dass wir ein paar Dinge zu klären haben. In einer solchen Situation ist es wichtig, dass wir das Gespräch transparent strukturieren. Ich schlage Ihnen vor, dass wir uns folgende Gesprächspunkte vornehmen. …. Wichtig ist mir auch, dass Sie Ihre Anliegen ebenfalls einbringen können. Haben Sie weitere Anliegen?

Beispiel Unterrichtsvorbereitung
(Kann man sich als Selbstgespräch vorstellen, in dem die PLP all ihre Gedanken und Überlegungen transparent macht)

Ich bin zwar müde von heute, trotzdem werde ich nun noch das Material versorgen und die Planung für morgen machen. Wenn ich das auf später verschiebe, wird es nicht besser. Andere kommen am Morgen sehr früh, das ist nicht meine Zeit. Heute Morgen war ja diese Frage von M., die nehme ich mit ihm während der selbsttätigen Beschäftigungsphase nochmals auf, das interessiert kaum alle. Dann sind die Aufgaben von letzter Woche, die eingesammelt werden sollten. Drandenken sollte ich auch an… Zum Ritual habe ich mir überlegt, dass… Der Druck ist gross, übermorgen ist die Prüfung angesagt… Ich werde also noch eine Übungs- und Repetitionsphase einplanen. Seit Hattie nutze ich Phasen mit Peer-Tutoring und reziprokem Lernen, das soll ja sehr wirksam sein. Früher hatte ich für die Planung eine Checkliste, heute mache ich das freihändig. Ach, ich sollte jetzt ja noch Frau Erika Mustermann anrufen, die hat nur kurz Zeit, bevor sie abends noch Büros reinigt. Habe ich vergessen auf dem Handy zu timen.

Modeling mit Metalog und Lernen sichtbar machen
Modeling mit Metalog kann zu mehr Klarheit der Lehrperson (d = 0,75) führen. Durch den Metalog werden durch die Lehrperson Handlungen begründet und Ziele deutlich, nicht nur für die angehende Lehrperson, sondern auch für die Lernenden. Der Unterricht gewinnt dadurch an mehr Klarheit in der Organisation / Struktur.

Des Weiteren entspricht der Ansatz von «Modeling mit Metalog» einem der effektivsten Bildungssettings: «Beobachtung der tatsächlichen Methoden im Klassenzimmer» (Hattie 2015, S. 144). Durch den Metalog werden die Beobachtungen, wie oben geschildert, mit fachlichen Hinweisen unterlegt, was die Beobachtungen eindeutiger interpretierbar und somit mit grosser Wahrscheinlichkeit das Setting noch effektiver macht. Auch ermöglicht bzw. unterstützt der Ansatz einen der sieben von Timperley, Wilson, Barrar und Fung (2007) ausfindig gemachten Punkte für eine für das Lernverhalten der Lernenden erfolgreiche Lehrerfort- und -weiterbildung: Hinterfragen der von den Lehrpersonen bis dahin verwendeten Argumenten und Vorstellungen bezüglich des Lernens (vgl. a. O., S. 144).

Durch den Metalog werden diese sichtbar gemacht und somit auch diskutierbar.

Einen Artikel zu «Modeling mit Metalog» finden Sie hier:
Brühlmann, Jürg (2005): Modeling mit Metalog in der Berufspraktischen Ausbildung. bzl-online, Beiträge zur Lehrerbildung, 23 (3).

Quellen
Hattie, John A. C. (2015, 3. Auflg.): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von «Visible learning», besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Timperley, H., Wilson, A., Barrar, H., & Fung, I. Y. Y. (2007). Teacher professional learning and development: Best evidence synthesis iteration. Wellington, New Zealand: Ministry of Education.

[lightgrey_box]Jürg BrühlmannJürg Brühlmann
Entwickler von Modeling mit Metalog in der
Lehrerausbildung und Leiter Pädagogische Arbeitsstelle,
Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH)
jbruehlmann(a)gmail.com

 

[/lightgrey_box]