Advance Organizer und Concept-Mapping – wirkmächtige Unterrichtsmethoden

Dr. Anke Meyer ist Studienrätin am Berufskolleg Lübbecke, einer Bündelschule im dualen Bildungssystem. Sie unterrichtet Sozialpädagogik an der Fachschule für Sozialpädagogik (Berufsausbildung zur Kindergartenlehrperson, Anm. d. R.) sowie Deutsch / Kommunikation und Erziehungswissenschaften an der Fachoberschule Gesundheit und Soziales. In einem Interview mit der Redaktion Lernen sichtbar machen berichtet sie über den Einsatz von Advance Organizer und Gruppen-Mindmaps als Unterrichtsmethoden, die das Lernen in ihrem Unterricht sichtbar machen lässt.
Von Helena Follmer

Lernen sichtbar machen: Sie strukturieren Ihre Unterrichtsreihen jeweils mit bestimmten Methoden, die das Lernen sichtbar machen. Was sind das für Methoden?

Dr. Anke Meyer: Ich beginne eine Unterrichtsreihe jeweils mit einem eher assoziativen Advance Organizer und lasse die Schülerinnen und Schüler zur Vertiefung des Wissens gegen Ende einer Reihe strukturierte Gruppen-Mindmaps (vgl. Concept Mapping) auf den Boden auslegen. Ich setze diese Methoden insbesondere im Fachgebiet Erziehungswissenschaften für die Vermittlung der Psychoanalyse und von Lerntheorien ein.
Zum Advance Organizer: Wenn ich ein Thema einführe, so steht der zentrale Begriff, beispielsweise Lerntheorien, begleitet von einer Lupe an der Wand. Ergänzt wird der Begriff um weitere Themenbereiche, die ich meist mit einem Bild verknüpfe. Das ähnelt im Prinzip einer Mindmap, wenn ich den zentralen Begriff den Themenbereichen grafisch zuordnen würde. Aber ich lasse es im Assoziativen, indem die projizierten Begriffe und Bilder von den Schülerinnen und Schülern frei gedeutet werden. Damit aktiviere ich das Vorwissen der Lernenden und erhalte zugleich eine Rückmeldung über ihren Wissensstand. Manchmal haben die Lernenden zum Beispiel bereits im Biologieunterricht Einblicke in die Lerntheorie der Klassische Konditionierung erhalten und können diese dem Pawlowschen Hund zuordnen. Ich versuche, alltagsnahe, witzige oder in unterschiedlicher Weise gefühlsanregende Bilder einzusetzen, die eine Reaktion bei den Lernenden hervorrufen. Zum Operanten Konditionieren oder Lernen am Erfolg habe ich z. B. einen Cartoon von einem Mann eingesetzt, der einer Frau Blumen schenkt. Daraufhin küsst die Frau den Mann, der ihr im Anschluss daran eine ganze Schubkarre voll Blumen vorbeibringt. Ein halbes Jahr später zeigte ich denselben Cartoon in einem anderen Zusammenhang. Die Lernenden konnten sich zu meiner Überraschung an den Advance Organizer zur Lerntheorie Lernen am Erfolg gut erinnern. Den Advance Organizer setze ich nicht nur zur Vorstrukturierung einer Unterrichtsreihe ein, sondern auch zwischendurch. Damit halte ich gemeinsam mit den Lernenden fest, wo wir mit dem Lernstoff stehen und was wir noch erreichen wollen. Ausserdem dient diese Visualisierung, das Gesamtthema bildhaft in Erinnerung zu rufen.

Zum strukturierten Gruppen-Mindmap (vgl. Concept Mapping): Wenn ich Gruppen-Mindmaps zum ersten Mal einführe, gebe ich dabei eine klare Struktur vor. Dazu schreibe ich zunächst die zentralen Begriffe der Unterrichtsreihe auf kleine Kärtchen. Die Lernenden ziehen, je nachdem wie viel sie sich zutrauen, ein oder zwei Kärtchen und entscheiden, ob sie allein oder zu zweit arbeiten möchten. Sie haben die Aufgabe, die Begriffe im Stuhlkreis zu erklären. Dafür dürfen sie sich 10-15 Minuten vorbereiten.

Alle Begriffe stehen ausserdem gut sichtbar auf grossen farbigen Moderationskarten. In der Mitte des Stuhlkreises liegt auf einer Wolke das Thema der Unterrichtsreihe, in diesem Falle Lerntheorien. Die Lernenden melden sich mit der erarbeiteten Lerntheorie – sei es Klassische Konditionierung oder Lernen am Modell – zu Wort, um diese zu definieren. Das Kärtchen mit dem entsprechenden Begriff wird der Wolke zugeordnet. Ich lege anschliessend als Unterkategorie eine weitere Karte dazu, z. B. Phasen des Modellernens, und frage nach diesen Phasen. Die entsprechende Karte wird ergänzt und erklärt. Wenn die Lerntheorie des Lernens am Modell abgearbeitet ist, wird mit der nächsten Lerntheorie genauso weiterverfahren bis die Mindmap vollständig ist. Wer Schwierigkeiten beim Erklären hat, darf sich Unterstützung holen. Offene Fragen werden gemeinsam geklärt. Die Gruppen-Mindmap kann erweitert werden, wenn den Lernenden noch Begriffe fehlen.

Lernen sichtbar machen: Was geschieht mit den erarbeiteten, strukturierten Gruppen-Mindmaps der Lernenden?

Dr. Anke Meyer: Zum Abschluss übertragen die Lernenden die am Boden des Klassenzimmers ausgelegte Mindmap für sich auf ein Blatt. Gegebenenfalls werden die Mindmaps auch von den Lernenden selbst fotografiert und via social media Kanäle gegenseitig zur Verfügung gestellt.
Ich bevorzuge die analoge Version, denn ich bin überzeugt, dass sich die Lernenden beim Abschreiben und Skizzieren der Mindmap das Erarbeitete besser einprägen können als mit der fotografierten Grafik. Anschliessend erstellen sie mit den zentralen Begriffen der Mindmap individuelle Karteikarten, die sie später zur Wiederholung der Lerninhalte nutzen.

Lernen sichtbar machen: Bei der strukturierten Gruppen-Mindmap geben Sie die wichtigen Begriffe vor, die Ihre Lernenden erläutern, zuordnen, in Beziehung zueinander setzen und eventuell mit Beispielen veranschaulichen. Welche Vorteile sehen Sie in der Vorgabe der zentralen Begriffe für Ihre Lernenden?

Dr. Anke Meyer: Wenn ich die zentralen Begriffe zunächst vorgebe, so sind sie für alle Lernenden einheitlich vorhanden, wenn sie diese zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen und damit wiederum eigene Mindmaps legen, um den Lernstoff zu visualisieren. Die strukturierten Mindmaps dienen neben der Erarbeitung des Themas ebenfalls zur Aufarbeitung des Prüfungsstoffs vor den Klausuren, in welchen die Lernenden komplexe Fälle analysieren.
Es ist eine gute Methode, um den Lernstoff von über einem Jahr frühzeitig aufzuarbeiten und ihn zum Abschluss verfügbar zu haben. Zudem dient die Mindmap bei der Fallanalyse in der Klausur als Strukturhilfe.
Das Vorgehen der strukturierten Gruppen-Mindmap lässt sich nach der Einführung hingegen beliebig variieren. Im Vorfeld können die Lernenden beispielsweise wimmeln, wobei sie sich gegenseitig ihre Karten zunächst erklären, bevor sie dies in der grossen Runde anwenden. Ausserdem können die Begriffe auf den Karten in Kleingruppen oder als Hausaufgaben erarbeitet werden. Die Mindmap kann ebenfalls auf einen konkreten Fall angewendet und mit zusätzlichen Karten ergänzt werden, also nicht nur im Hinblick auf die Wiederholung von Unterrichtsinhalten. Insbesondere in der Fachoberschule (Klasse 10 bis 12, Anm. d. R.) rege ich die Lernenden an, mit diesen Karten ein Karteisystem aufzubauen, damit sie die Begriffe jederzeit lernen können. Ähnlich wie sie es im Fremdsprachenunterricht kennen. Das Fachgebiet Erziehungswissenschaften hat zudem den Auftrag, Lernmethoden und Lernstrategien zu vermitteln, die Lernenden in allen Fächern anwenden können.

Das kombiniert sich an unserer Schule mit einer anderen Methode, nämlich mit der sogenannten «Punkt-Konto-Methode». Für jedes Quartal können sich die Lernenden Punkte für Mitarbeit, Lernpartnerschaften, besondere Leistungen und nach Absprache mit der Klasse auch für Hausaufgaben erwerben. Wenn die Lernenden die Karteikarten der Mindmap für individuelle Lernpartnerschaften von mindestens 90 Minuten als Hausaufgaben einsetzen, so erhalten sie dafür Punkte auf ihr Konto. Aus dem Punktekonto ergibt sich die Note für die «Sonstigen Leistungen», die neben den Klausuren ein wichtiger Bestandteil der Gesamtnote sind.

lerntheorien

Lernen sichtbar machen: Wo liegen die Chancen und Herausforderungen der Gruppen-Mindmaps für Ihren Unterricht?

Dr. Anke Meyer: Eine Chance dieser Methode ist, dass sie sich im Unterricht vielfältig variieren lässt, wie ich oben bereits dargelegt habe. Eine weitere Chance sehe ich darin, dass sich damit die Selbstständigkeit der Lernenden und ihr Methodenwissen im Hinblick auf ihre Studierfähigkeit fördern lassen. Am Ende der 12. Klasse legen die Lernenden eine grössere Abschlussprüfung in vier Fächern ab und müssen dabei über das Wissen eines ganzen Jahres verfügen. Wie schon erwähnt, müssen sie sich beim Lernen organisieren und strukturieren. Die Mindmap-Methode kann ihnen dabei helfen, ebenso kann die Methode eine Hilfestellung bei konkreten Fallanalysen in den Klausuren sein. Die Herausforderung dieser Methode liegt jedoch nach wie vor in der selbstständigen Anwendung einer Mindmap auf ein neues Thema.

Lernen sichtbar machen: Sie haben im Vorfeld erwähnt, dass Ihre Lernenden gerne mit diesen Strukturhilfen arbeiten. Woran wird dies sichtbar?

Dr. Anke Meyer: Wenn ich ein allgemeines, offenes Feedback zum Unterricht anfordere, erhalte ich oft die Antwort, dass diese Gruppen-Mindmaps für das Verständnis des Themas geholfen haben. Bei den Reflexionsgesprächen direkt im Anschluss an die Erarbeitung der Gruppen-Mindmaps sind die Reaktionen durchweg positiv. Dabei weiss man jedoch nicht, ob die Rückmeldungen der Lernenden dazu dienen, sich im Unterricht gut zu verkaufen. Ich habe den Einsatz dieser Methode bisher noch nie systematisch evaluiert. Was ich hingegen feststelle, ist, dass die Lernatmosphäre beim Erarbeiten von Gruppen-Mindmaps oft sehr angeregt ist, dabei viele Diskussionen und Nachfragen zum Thema entstehen, die ich bei anderen Unterrichtsmethoden nicht immer so erlebe. Weitere Indikatoren sind für mich, dass die Lernenden bei Gruppen-Mindmaps oft länger beim Thema verweilen und weniger unruhig sind als sonst im Unterricht. Ausserdem tauchen die Karteikarten mit den Begriffen aus den Mindmaps in der Prüfungsvorbereitung der Lernenden auf.

Lernen sichtbar machen: Abschliessend eine Frage zum Lernerfolg. Stellen Sie in Ihrem Unterricht anhand dieser Verfahren einen positiven Effekt auf den Lernerfolg fest?

Dr. Anke Meyer: Ohne diese Methoden systematisch ausgewertet zu haben, gehe ich davon aus, dass sie einen positiven Lernerfolg ausmachen. Die Tatsache, dass sich die Lernenden frühzeitig und selbstständig mithilfe der Gruppen-Mindmaps sowie ihrer Karteikarten auf die Prüfungen vorbereiten, ist bereits ein Erfolg. Die zentralen Begriffe werden durch den regelmässigen Einsatz von Gruppen-Mindmaps im Unterricht fortlaufend auf Karteikarten festgehalten, die sie zur Wiederholung des Lernstoffes nutzen.

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Lernen sichtbar machen: Advance Organizer & Concept Mapping

Die Schlussfolgerungen zu den eingesetzten Unterrichtsmethoden von Dr. Anke Meyer werden durch Forschungsbefunde gestützt. Der Advance Organizer ist eine kognitive Lernhilfe, die im Vorhinein gegeben wird. Sie schlägt zum einen eine Brücke zwischen dem Vorwissen und dem neuen Lernstoff und nimmt zum anderen eine Vorstrukturierung der Lerninhalte vor. Die Gruppen-Mindmap als visualisierte Zusammenfassung und Organisation der Lerninhalte wird erst zur Vertiefung des Wissens eingesetzt. Hierbei wird auf das Concept Mapping hingewiesen, welches eine hohe Effektstärke (d = 0,60) auf die Lernleistung aufweist. Das Concept Mapping unterscheidet sich insofern von der regulären Mindmap, als es von mehreren zentralen Begriffen ausgeht, die miteinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. Hattie 2015).

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Quellen
Hattie, John A. C. (2015, 3. Auflg.): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von «Visible learning», besorgt von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Weiterführende Literatur
Krapp, Andreas & Weidemann Bernd (2006, 5. Auflg.): Pädagogische Psychologie. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.

[lightgrey_box]Helena FollmerHelena Follmer
(Interviewerin)
Primarlehrperson und

Projektmitglied von Lernen
sichtbar machen
helena.follmerzellmeyer(a)fhnw.chMeyer

Dr. Anke Meyer
(Interviewte)
Studienrätin

am Berufskolleg Lübbecke
dr.anke.meyer(a)berufskolleg-lk.de

 

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